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AUFBAU - August 8, 2002 Liebesbriefe eines Genies

 

Ab November sind seltene Stücke aus dem
Jerusalemer Albert Einstein-Archiv in New York zu sehen

 
Albert Einstein war Vieles: Der größte Wissenschaftler des 20. Jahrhunderts, unumstritten. Gleichzeitig aber auch Aufbau-Autor, Humanist, Humorist, Zionist, Pazifist, Popikone und Liebling der Frauen. Das „Time”-Magazin hat ihn vor der Jahrtausendwende zur „Person of the Century” gekürt. Vieles erinnert in den USA heute allerdings nicht mehr an Einstein. Doch jetzt kommt er zurück: „Einstein” lautet der simple Titel der umfangreichen Ausstellung, in der das „American Museum of Natural History” in New York ab November zahlreiche persönliche Gegenstände des großen jüdischen Physikers erstmalig öffentlich zeigt.

Tief ergriffen soll er gewesen sein, mit Tränen in den Augen: Als Albert Einstein 1930 die Riverside Church an der New Yorker Upper West Side besuchte und dort, über dem Westportal, sein Ebenbild in Stein erblickte, wusste er um dessen Symbolkraft. Er, der weltberühmte Wissenschaftler, als einziger noch Lebender inmitten so großer Persönlichkeiten wie Darwin, Galileo, Kant, Newton, Socrates oder Spinoza. Aber vor allem er, der Jude, verewigt an dem Portal einer christlichen Kirche.

Damals wusste Einstein noch nicht, dass eine Universitätsstadt ganz in der Nähe schon bald, 1933, zu seiner neuen Heimat werden sollte: Bis zu seinem Tod im April 1955 lebte und forschte der Physiker in Princeton, am dortigen „Institute for Advanced Study”, und wohnte zusammen mit seiner Cousine Elsa - zugleich seine zweite Ehefrau -, seiner Stieftochter Margot sowie seiner Sekretärin Helene Dukas in einem schlichten Einfamilienhaus in der Mercer Street 112. Viel übrig geblieben ist jedoch von dieser Zeit nicht ­ jedenfalls nicht in Princeton, im US-Bundesstaat New Jersey. Denn in seinem Testament hat Einstein sein gesamtes Archiv der von ihm mitgegründeten Hebrew University in Jerusalem vermacht. Für ihn war dies ein letzter Beweis seiner Liebe und Verbundenheit zu Israel, dessen damaliger Regierungschef David Ben Gurion ihn 1952 sogar ersuchte, als Nachfolger von Chaim Weizmann Präsident des jungen Staates zu werden. Der Physik-Papst lehnte das Angebot gerührt ab ­ er habe nie eine Aufgabe übernommen, die seinen Fähigkeiten nicht entsprochen habe, ließ er damals mitteilen.

Albert Einstein gehörte nicht zu den Menschen, die jedes Papier aufbewahren. Erst nachdem er 1922 den Nobelpreis für Physik erhalten hatte ­ übrigens nicht für seine bahnbrechende Relativitätstheorie, sondern für seine Beiträge zur Quantentheorie ­ und seine Popularität immer größer wurde, leistete er sich in seiner Stieftochter Ilse Loewenthal die erste Sekretärin. Ab April 1928 war es dann Helene Dukas, die Ordnung in Einsteins Korrespondenz brachte; sie war es auch, die der Wissenschaftler 1950 zusammen mit seinem engen Vertrauten Dr. Otto Nathan zu seiner Nachlassverwalterin ernannte. Nach Einstein Tod 1955 verbrachten beide fast ein Vierteljahrhundert damit, dessen umfangreichen Schriftverkehr systematisch zu archivieren und weiteres Material zu akquirieren. Erst 1982 konnten Einsteins Wille erfüllt und seine persönlichen Papiere der Jewish National & University Library in Jerusalem übergeben werden. 1988 wurde dort das offizielle Albert Einstein Archiv gegründet, mit rund 50.000 Stücken, darunter Einsteins gesamte wissenschaftliche Korrespondenz, aber auch Schreiben, die er als langjähriges Mitglied des Aufbau-Beirats verfasst hat sowie mehrere Artikel, die er insbesondere in den vierziger Jahren für diese Zeitung geschrieben hat.

Ein Großteil der Ausstellungsstücke, die ab 15. November im American Museum for Natural History zu sehen sind, stammen aus dem Jerusalemer Archiv. Gemeinsam mit der Hebrew University und dem Skirball Cultural Center Los Angeles hat das New Yorker Museum die wohl hochkarätigste Präsentation zusammengetragen, die es jemals über das Leben und die Theorien des

  weltbekannten Wissenschaftlers gegeben hat. „Albert Einstein wird von vielen als die wichtigste Figur des 20. Jahrhunderts betrachtet.

Tatsächlich ist er auf Grund seiner tiefgrün-digen Weltsicht und seiner zwingenden Persönlichkeit ein Mann für alle Alters-gruppen”, sagt Ellen V. Futter, Präsidentin des American Museum of Natural History. Bis zur 100. Wiederkehr von Einsteins „annus mirabilis” 1905, als er als 26-Jähriger unter anderem seine berühmte Formel E=mc2 entwickelte ­ wohlgemerkt neben seiner damaligen Tätigkeit als Technischer Vorprüfer am Patentamt in Bern -, soll die Ausstellung nach New York noch in zahlrei-chen anderen amerikanischen Städten zu sehen sein und dann im Jahr 2005 in Jerusalem ihren Abschluss finden. Viele der Mauskripte, Fotos und Original-Briefe sind erstmals einer breiten Öffentlichkeit zugänglich ­ so zum Beispiel die handschrift-liche Version seiner Relativitätstheorie in einer Version von 1916 oder die Original-Medaille des schwedischen Nobelpreis-Komitees. „Wir wollen den Besuchern die Gelegenheit geben, das Erbe von Einstein zu erforschen. Und zwar nicht nur das Genie, das die Gesetze von Raum und Zeit neu geschrieben hat, sondern auch den vielseitigen Menschen, der aktiv am sozialen und politischen Geschehen seiner Zeit teilgenommen hat”, erklärt Futter.

Um dies zu ermöglichen, sollen zum einen interaktive Computer-Animationen und dreidimensionale Modelle Einsteins Theorien erklären, beispielsweise warum scheinbar absolute Größen wie Zeit und Entfernung tatsächlich von den Umständen abhängig sind, unter denen sie beobachtet werden. Zum anderen geben Familien-Fotos, ein Tagebuch und der Briefwechsel mit seinen Söhnen Einblicke in das oftmals chaotische und sehr leidenschaftliche Privatleben des Denkers. Manche Dokumente stammen dabei noch aus der frühen Berliner Zeit und waren von seinem Stiefsohn Rudolph Kayser nach Hitlers Machtübernahme gerettet worden, im Gegensatz zum Material aus Einsteins Sommerresidenz in Caputh, das absichtlich zerstört wurde, damit es nicht in die Hände der Nazis fiel.

Erstmals wird hier ein Liebesbrief an seine erste Frau Mileva Maric gezeigt, die er während des Studiums in Zürich kennen gelernt hatte. Dass Albert Einstein als Begründer der Relativitätstheorie nicht nur das größte wissenschaftliche Genie des 20. Jahrhunderts war, sondern sein ganzes Leben lang auch ein engagierter Jude und Zionist, Pazifist und Humanist, erhellen seine Briefwechsel mit Albert Schweitzer, Sigmund Freud, Mahatma Gandhi oder Franklin D. Roosevelt, den er 1939 vor einer atomaren Kettenreaktion und einer möglichen Atombombe der Nazis warnte. Die Briefe des Präsidenten und des Physikers sind nebeneinander ausgestellt.

Und noch etwas, das bisher kaum jemand wusste, zeigt die Ausstellung zum ersten Mal: Briefe von Kindern und Briefe an Kinder - Einstein nahm sich immer Zeit, die vielen Briefe von seinen kleinsten Fans aus aller Welt persönlich zu beantworten. Ob er dabei auch das Gerücht in die Welt gesetzt hat, dass er ein schlechter Schüler gewesen sei, ist nicht bewiesen. Fakt ist: Ein Zeugnis von einer Schweizer Schule, in dem ihm exzellente Noten in Physik und Algebra bescheinigt werden, räumt mit dieser Legende endgültig auf. Wie für vieles bei Einstein ist eben auch hier eine relative Betrachtungsweise gefordert.


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Von Robert Bongen
Quelle: Aufbau

 
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